Skandalsängerin Lady Gaga hätte vermutlich ihre helle Freude an den Werken von Stephan Hann. Wie bei ihrem berühmten Fleischkleid, sind auch Stephan Hanns Kreationen nicht das was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.
Er schneidert Hochglanz-Couture aus alten Müllsäcken oder Telefonbuchseiten. Ein Statement gegen die Wegwerfgesellschaft! Er sieht sich als Bewahrer der guten alten Kulturgüter. Jetzt hat er erstmals eine Ausstellung im Karlsruher Museum beim Markt, die eine Zusammenfassung seines ganzen Werkes zeigt. Knapp 80 Kleider aus Müll, versammelt in „Mode.Medium.Material“. Bis 9. Juni im Museum beim Markt in Karlsruhe. Ich hab mich auf den Weg gemacht, nur für Euch Schätzchen da draussen, und den Designer höchstselbst interviewt.
Kleiderpuppen in Tetrapack – und dazu Tom Waits
Wäre die Ausstellung ein Catwalk bei einem Fashion-Event in London, Paris oder New York, wäre die Musikauswahl für Stephan Hann relativ schnell klar. Er würde Tom Waits unter die flanierenden Models legen. Ein bisschen erinnert die Inszenierung der Kleidermodelle im Museum Beim Markt auch an einen schicken Laufsteg, der einmal um die Ausstellungsräume herum führt. Alles ist weiß gestrichen – zurückhaltend und unauffällig. Ganz dezent, genau wie Stephan Hann, der mir schüchtern die Hand schüttelt. Gesichtslose Kleiderpuppen tragen die Hann’sche Recycling Couture, wie Mannequins bei einer Modeschau. Stephan Hann steht ruhig neben seinen opulenten Kleidern. Er verschwindet regelrecht hinter den Installationen. Anders als der Künstler haben es seine Kleidermodelle nicht so mit Bescheidenheit. Tausende Tetrapackstückchen schmiegen sich wie Fischschuppen um eine Kleiderpuppe direkt am Eingang und ergeben ein schillerndes silbernes Abendkleid. Alte Armeegeldbeutel, dürfen sich als Mini-Kleid mit Sexappeal um einen Frauenkörper legen, statt in die Tasche eines Militärmantels. Tragbarkeit ist ihm nicht wichtig, es geht ihm um die Botschaft.
Sektkorken, Tetrapacks, Zelluloid
Die erste Frage, die sich stellt, während der Blick über den Ausstellungsraum schweift: Wo und wie sammelt dieser Mann den ganzen Müll, aus dem er dann solche Kleider schneidert?! Sektkorken, Tetrapacks, Alupapier, Zelluloid, Druckerpapier, alte Journale und Zeitschriften, Briefmarken. Es gibt nichts, womit Stephan Hann nicht arbeiten würde. Die Briefmarken zum Kleid „Airmail“ hat er auf einem Berliner Flohmarkt gefunden. Da treibt er sich sowieso gerne herum, um sich die „Stoffe“ für seine Mode zusammenzusuchen. Hann ist Nutznießer der Wegwerfgesellschaft. Im Grunde betreibt er Recycling, aber mit einer Botschaft. Selbst in verbrauchten Materialien lässt sich noch Glamour entdecken.
Angefangen hat er als Herrenschneider, heute schneidert er Couture aus Müll und Industriematerial. Das zweite Standbein des Modekünstlers sind Auftragsarbeiten, eine Zelluloid-Kollektion für die Berlinale, ein Kleid aus Hochglanzdrucken für die Firma Lexmark oder Champagnerkleider für die Nobelmarke Möet. Hann interessiert an einer Champagnerflasche weder der Inhalt, noch der süffige Perlenkranz in der Sektflöte. Er schnappt sich lieber die Metallkappe des Korkens, die Champagnerliebhaber achtlos an die Seite werfen. Dem Metallkäppchen am Korken hat Stephan Hann eine ganze Kollektion gewidmet, die sich wie eine zartorange Rüstung um die Kleiderpuppen legt. Marke: Möet! Drunter wollte er es dann auch nicht machen. Einem Proseccokleid der Marke Billig, könnte man vermutlich auch nicht ganz so viel abgewinnen. Viel wichtiger ist dem Künstler aber die Tatsache, dass er dem Müll ein neues Gesicht gibt und persönliche Gedanken und Erlebnisse verarbeitet. So gerne er über den Sinn und Unsinn des Lebens philosophiert, so ungern redet Hann über die ganz pragmatischen Seiten seiner modischen Installationen. Da gerät er schnell ins Stocken – Berufsgeheimnis, sagt er leise…Er näht, ja! Und er heftet! …reißen gehört auch zu seinem Arbeits-Portfolio.
Aber wie er es zum Beispiel geschafft hat, aus Hunderten Rosenblättern einen schimmernden Overall zu nähen, will er mir nicht verraten. Da hüstelt der Maestro nur kurz. Ich bohre nicht weiter, kann es ja selbst auch nicht leiden, wenn man mich in eine Richtung drängen will. Es kommt auch nicht wirklich darauf an, wie er aus den Materialien Kleider macht, sondern warum er sich diesen Materialien gewidmet hat, statt Samt und Seide. Man kann die Recycling-Klamotten einfach nur witzig oder schräg finden. Aber es steckt natürlich mehr dahinter, der Appell gegen die Wegwerfgesellschaft, Kritik am schnelllebigen Zeitgeist. Wir schmeißen die popelige Verschlusskapsel der Champagnerkorken oder die alte Plastiktüte einfach weg. Stephan Hann verarbeitet sie zu Handtaschen und Kleidern. Recycling-Couture? In seinen Stücken steckt nicht nur alter Industriemüll, sondern auch viele Stunden Arbeit, Handwerkskunst, eine Philosophie. Und vor allem das, was heute, im Gegensatz zu dem günstigen Zivilisationsabfall und Industrieprodukten teuer ist: Zeit.
Petra von Hollightly: Lieber Stephan Hann, vielen Dank, dass Sie ein bisschen Zeit für mich übrig hatten. Die Ausstellung ist ein Querschitt aus allen Schaffensperioden – was wollen Sie den Betrachtern mit Ihren Werken sagen?
Stephan Hann: „Ich möchte mit diesen Modeobjekten Momente festhalten, an Menschen erinnern, an Materialien erinnern, die eigentlich aus unserer Gesellschaft verschwinden. Ich möchte ein wenig, die Zeit anhalten. “
Petra von Hollightly: Wie bei Ihrem Kleid „Airmail“ – ist das eine Form von Protest gegen die beschleunigte Gesellschaft?
Stephan Hann: „Ja, von der Modesilhouette her ist das eine Jugendstilschleppe und sie ist besetzt mit hunderten, mit tausenden von Briefmarken. Briefmarken sind ein Material, das verschwindet, da wird viel darauf gedruckt, es werden immer weniger Briefe geschrieben…Dabei sind Briefmarken oft sehr schön gestaltet, gerade DDR-Briefmarken sind oft von berühmten Grafikern gestaltet worden und ja…ich sehe mich in meiner Kunst als Bewahrer, als Bewahrer von Materialien.“
Petra von Hollightly: Aber auch als Provokateur? Als einer, der die Gesellschaft auf Dinge aufmerksam machen will?
Stephan Hann „Wie bei dem Modeobjekt, das Silberbird heisst, das ist ein Kleid, das ich aus Blistern gearbeitet habe, aus Medikamentenverpackungen. Die Menge der Tablettenverpackungen, die ich zu dem Kleid umgenäht habe, ist der Tablettenkonsum einer Bekannten von mir, die im Rollstuhl sitzt, die das in drei Monaten aufgefuttert hat… und das ist das, was ich mit diesem Material sagen will…es kann schützen, es kann aber auch sehr verletzlich machen“
Petra von Hollightly: Was ist denn das Herzensstück der Ausstellung?
Stephan Hann: „Dieser Overall aus Rosenblättern, der liegt mir besonders am Herzen. Wir haben jetzt hier mit La vie en Rose aus echten Rosenblättern ein echten Höhepunkt erlangt, was das Material betrifft. Das sind echte Rosenblätter auf Seidenorganza genäht, was natürlich völlig irsinnig ist, es aber auch zu etwas Besonderem macht.“
Petra von Hollightly: Vielen Dank für das Interview!