Dank der Fotofreude und des Exhibitionismus der Freunde der Freunde, gibt’s den Gratisblick in die Intimsphäre der kreativen Szene weltweit. Was klingt wie der Titel einer schicken französischen Liebeskomödie ist der Name einer Hochglanz Interieur Webseite. Freunde von Freunden wurde 2009 von dem Designstudio NoMoreSleep mit einem Team aus Fotografen, Redakteuren, Gestaltern und Netzwerkern gegründet.

Leyla Piedayesh auf Freunde von Freunden

Angefangen hat alles in Berlin

Heute öffnen Kreative weltweit ihre Wohnungstüre für die Webseitenbetreiber. Von Los Angeles bis Tokio, von Paris bis Sao Paulo. Herausgekommen ist dabei eine digitale Milieu-Studie der Kreativszene. Da haben sich also ein paar aus der Berliner Kreativszene zusammengetan und die Wohnungen ihrer Freunde fotografiert und von den Freunden der Freunde und von den Freunden der Freunde der Freunde – und so.

Wohnen im Bunkerbau

Bestes Beispiel ist der Kunstsammler Christian Boros, der den Machern der Webseite in einem Arte-tauglich produzierten Video von seinem Wohntraum erzählt. Der Mann wohnt in einem umfunktionierten Bonatz-Bau in Berlin, im Erdgeschoss liegt die Kunstsammlung, in den Obergeschossen die Nobel-Bude. Entspannt sitzt er da und plaudert, während hinter ihm der puristisch-minimalistische Kamin aus Edel-Beton demonstriert, dass der Mann auch aus seiner Wohnung ein Kunstwerk gemacht hat.

Die Webseite zeigt den Wohntraum von Ottonormalverbrauchern wie mir, die von so einem abgefahrenen Heim nur träumen können. Aber: Bei den „Freunden“ steht das stinknormale Leben im Vordergrund, wenn auch das stinknormale Leben von den Schönen der Kreativszene.

Helga Ruthner

Kein Make-Up für die Bude

Da wird nicht beschönt und poliert, sondern gezeigt, wie Kreative Leben. Bei „Freunde von Freunden“ liegt der Fokus auf den Wohnungen der Porträtierten – ohne viel Schnick-Schnack. Da klickt man sich durch Lebensräume, ungeschminkt und ungekünstelt – ganz anders als man das als eifriger Leser von klassischen Wohnmagazinen sonst gewohnt ist. Da schmiegt sich der Geschirrtuchhaufen an die schwarz-lackierte Edel-Küche bei der Wiener Modedesignerin, der dreckige Turnschuh stapelt sich in der Nähe der pinkfarbenen Skulptur von Jeff Koons bei dem Berliner Galeristen und auf dem Plattenteller eines DJs liegen Babyschuhe. Keine Inszenierung wie in den üblichen Wohnmagazinen, kein Stylist, der Orange und Apfel nochmal auf Hochglanz poliert, bevor der Fotograf die Wohnung betritt. (Also vermutlich wird ein bisschen geputzt bevor der Fotograf an der Wohnungstüre steht und vielleicht wird auch das angebissene Brötchen vom Vortag beiseite geräumt, wie man das eben so macht, wenn Freunde zu Besuch kommen.)

nela König auf freunde von freunden

Voyeurismus pur!

Allerdings kommt hier die gesamte Internet-Öffentlichkeit zu Besuch vorbei und die ist bekanntermaßen ganz schön groß. Dann bin ich eben von zu Hause aus (auf meinem schnöden Sofa im Normalo-Wohnzimmer sitzend) zu Besuch bei Berliner Galeristen Johann König, Sohn des in Kunstkreisen fest vernetzten und gut bekannten Kasper Königs. Der mich erstmal im buntgestreiften Morgenmantel und mit einem Rasierer in der Hand begrüsst, bevor er mich durch die Wohnung führt. Er lebt in einem klassischen Altbau mit viel Schnörkel und einem alten grünen Chesterfield Sofa im Berliner Zimmer. Das er, wie wir auf der Webseite auch erfahren, den Vormietern zu einem unverschämt hohen Preis abkaufen musste, um die Wohnung zu bekommen. Oder dass er den gefeierten Künstler Tobias Rehberg – Tobi wie er ihn zu nennen pflegt, schon seit Teenie-Zeiten kennt. Oder wie er seine Galerie in Berlin aufgebaut hat – wie alles anfing, mit einer zerstörerischen Performance-Aktion. Ich erfahre wie die Kreativ-Szene tickt und lebt, wie Grafiker arbeiten und was Architekten antreibt.  Die Menschen auf „Freunde von Freunden“ lassen sich bei der Arbeit und ihrem Leben über die Schulter schauen und gestatten dem Betrachter der Webseite einen Blick hinter ihre Eingangstüre. Die Bilder zeigen Räume in denen geredet, gelebt, gelacht, gegessen und geschlafen wird – intime Einblicke, die uns abgestumpfter Facebook-Generation vermutlich vollkommen natürlich erscheinen.

Der Toilettengang des Herrschers

Das Netzwerk ist Teil einer neuen Ära, in der Privatsphäre eine andere Bedeutung hat, als noch vor 20 oder 30 Jahren. Dabei galt die Privatsphäre lange Jahre kaum etwas oder sogar gar nichts. Im alten Rom wusste in der res publica jeder alles und am französischen Hof unter King Louis dem alten Sonnenkönig, war alles und jeder komplett ausgeleuchtet. Sogar die Morgentoilette des Herrschers war ein öffentlicher Staatsakt. Da ist Facebook gar nichts dagegen! Heute entblößt man sich und die eigenen vier Wände also wieder (wie zu Louis Zeiten) und im Internet bedenkenloser als je zuvor. Wenn ich schon meine Fotos ins Netz stelle und meinen Gemütszustand auf Facebook teile oder per Twitter der Netzwelt mitteile, wen ich gestern oder vorgestern getroffen habe, dann ist es vermutlich auch vollkommen normal die Intimsphäre meiner ganz privaten Wohnhöhle mit allen Interessierten zu teilen. Somit ist die Veröffentlichung der eigenen vier Wände, wie bei dem Netzwerk „Freunde von Freunden“, wenn man an King Louis oder die alten Römer denkt, fast schon wieder Retro!

Eine Meinung zu “„Schöner Wohnen“ bei Freunden von Freunden

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